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Leitfaden: Unterbringung Geflüchteter in privatem Wohnraum (Stand: 17.03.2022)

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Leitfaden des Deutschen Caritasverbandes: Unterbringung Geflüchteter in privatem Wohnraum (Stand: 17.03.2022)

Aktuell überlegen viele Menschen in Deutschland, wie sie Schutzsuchenden aus der Ukraine helfen können. Eine Möglichkeit besteht darin, Flüchtlinge privat aufzunehmen. Verglichen mit großen Flüchtlingsunterkünften finden Menschen in Wohnungen regelmäßig bessere Bedingungen vor.
Wir wollen dieses Engagement von Seiten des Deutschen Caritasverbandes unterstützen und haben vor dem Hintergrund unserer jahrelangen Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit Empfehlungen zusammengestellt. Gerade bei einer längerfristigen Unterbringung in privaten Räumlichkeiten können diese helfen, Enttäuschungen und Missverständnisse auf beiden Seiten zu vermeiden.

Empfehlung 1: Hinterfragen Sie Ihre Beweggründe
Es ist sehr zu begrüßen, dass Sie Menschen in einer Notlage unterstützen und privaten Wohnraum zur Verfügung stellen wollen. Mitunter werden mit einer Aufnahme aber auch unrealistische Erwartungen wie ein familiärer Anschluss oder freundschaftliche Beziehungen verbunden. Diese können bei einer Aufnahme nicht vorausgesetzt werden und können zu einem späteren Zeitpunkt für Enttäuschungen sorgen.

Empfehlung 2: Prüfen Sie, ob die Räumlichkeiten für eine Aufnahme geeignet sind
Bei der Unterbringung in privatem Wohnraum muss unterschieden werden:
Wenn Sie abgetrennte Räumlichkeiten (z.B. eine Einliegerwohnung) anbieten können, die den üblichen Standards entsprechen, sind diese grundsätzlich für eine private Unterbringung von Flüchtlingen (nicht nur aus der Ukraine!) geeignet.
Wenn Sie Menschen in Ihrer eigenen Wohnung / dem von Ihnen bewohnten Haus aufnehmen wollen, stellt das gewisse Herausforderungen an die Räumlichkeiten und an das Zusammenleben. Für die aufgenommenen Personen sind Rückzugsmöglichkeiten unerlässlich, nicht zuletzt, um das Erlebte verarbeiten zu können. Gibt es keine Rückzugsmöglichkeiten und leben viele Menschen auf engem Raum, kann dies erfahrungsgemäß keine dauerhafte Lösung sein. Hier ist zu beachten, dass mit der privaten Unterbringung im besten Fall die Zeit überbrückt werden sollte, bis eine langfristige Lösung gefunden wurde.
Wenn Sie selbst Mieter_in sind, ist es bei einer längerfristigen Aufnahme wichtig, das Einverständnis des Eigentümers / der Eigentümerin einzuholen bzw. diese_n zu informieren.

Empfehlung 3: Überlegen Sie, welche Ressourcen und Fähigkeiten Sie mitbringen
Die derzeit ankommenden Personen haben mit großer Wahrscheinlichkeit existenzielle Sorgen sowie Ängste um Angehörige und Bekannte und befinden sich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Sie selbst belastbar und stabil sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn Sie gemeinsame Räumlichkeiten nutzen. Auch eine empathische Grundhaltung sowie Offenheit sind entscheidende Kriterien für ein gelingendes Zusammenleben. Fragen Sie sich selbst: Wo liegen meine persönlichen Grenzen? Wie viel Zeit kann ich einbringen?
Auch in der Vergangenheit erworbene Kenntnisse können hilfreich sein. Waren Sie beispielsweise in der Flüchtlingsarbeit aktiv und haben an Fortbildungen teilgenommen? Bringen Sie Sprachkenntnisse mit oder kennen Sie eine Person, die bei der Sprachmittlung helfen kann? Diese Vorkenntnisse sind aber keine Vorbedingung: Erforderliches Wissen können Sie sich aneignen und für die Verständigung (viele der Geflüchteten sprechen kein deutsch und möglicherweise auch für eine alltägliche Kommunikation nicht aus-reichend englisch) können zu Beginn auch kostenlose Übersetzungsapps oder Wörterbücher genutzt werden.

Empfehlung 4: Informieren Sie sich vorab über die Rahmenbedingungen
Bevor Sie sich für eine Aufnahme entscheiden, ist es ratsam, Kontakt zur Kommune oder zu Hilfsorganisationen aufzunehmen. Neben Informationen über die Rahmenbedingungen (etwa eine Übernahme von Mietkosten oder das Erfordernis eines (Unter-)Mietvertrages) werden sie dort auch darüber informiert, wo Sie im Falle einer Aufnahme Unterstützung und Entlastung erhalten.

Empfehlung 5: Bestehen Sie bei einer Aufnahme auf eine professionelle Vermittlung
Viele Kommunen haben Strukturen aufgebaut, um Schutzsuchende und Gastgeber_innen zusammenzu-bringen. Mancherorts sind auch Wohlfahrtsverbände und andere seriöse Organisationen aktiv. Die Vermittlung über solche Strukturen bietet Vorteile für Sie als Gastgeber_in und für die Schutzsuchenden. So werden bei einer seriösen Vermittlung die räumlichen Möglichkeiten und Erwartungen besprochen und ein erstes Kennenlernen ist möglich. Auch geflüchtete Personen profitieren von einem solchen geordneten Verfahren, weil sie somit sichergehen können, dass es sich um ein verlässliches Unterkunftsangebot han-delt und Mindeststandards eingehalten werden.
Allerdings handelt es sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Privatwohnungen um ein weitgehend neues Phänomen. Daher befinden sich Strukturen vielerorts derzeit noch im Aufbau. Sollte dies in Ihrer Kommune der Fall sein, fordern Sie bei dieser eine Vermittlung und Registrierung ein oder stellen Sie sicher, dass Letzteres nachgeholt wird.

Empfehlung 6: Gleichen Sie die Erwartungen mit den einzugsbereiten Personen ab und machen Sie Ihre Rolle klar
Wenn Sie Klarheit über Ihre eigenen Erwartungen haben, gleichen Sie diese mit den einzugsbereiten Personen ab. Dies gilt wiederum insbesondere dann, wenn Sie Räumlichkeiten gemeinsam nutzen und betrifft etwa den Einkauf von Lebensmitteln, die gemeinsame Nutzung der Küche oder Aufgaben im Haus-halt, die Begleitung bei Behördengängen, die Haltung von Haustieren oder die Unterstützung im Alltag.
Zum Klärungsprozess vor dem Einzug gehört auch, transparent zu machen, für welchen Zeitraum eine Unterbringung angedacht ist, damit sich die aufgenommenen Personen darauf einstellen können. Handelt es sich um eine kurzfristige Aufnahme oder können Sie längerfristig Wohnraum zur Verfügung stellen?
Auch eine Rollenklärung ist wichtig: Sie sind in erster Linie eine Privatperson, die eine Unterkunft bietet, und nicht Therapeut_in, Sprachlehrer_in, Berater_in, Migrationsexpert_in, …

Empfehlung 7: Achten Sie Privatsphäre und Selbstbestimmung der Schutzsuchenden
Wenn Sie Menschen in Ihrer eigenen Wohnung aufnehmen, müssen Sie deren Privatsphäre und Rück-zugsräume achten. Ein unaufgefordertes Betreten von Zimmern, körperliche Nähe oder dauerhafte Präsenz stellen eine Grenzüberschreitung dar. Akzeptieren Sie, wenn sich Menschen ggf. als Reaktion auf das Erlebte (zunächst) zurückziehen und interpretieren Sie dies nicht als fehlende Dankbarkeit.

Empfehlung 8: Nehmen Sie Rücksicht auf (mögliche) Traumatisierungen
Regelmäßig sind Menschen, die aus einem Kriegsgebiet geflohen sind, psychisch stark belastet oder traumatisiert. Es gibt kein Patentrezept zum Umgang mit psychischen Belastungen, wobei eine empathische Grundhaltung und ein möglichst „normaler“ Umgang für eine Stabilisierung erfahrungsgemäß hilfreich sind. Daher können Gesprächsangebote gemacht werden – ob diese angenommen werden, hängt von der jeweiligen Person ab.
Keinesfalls ist es aber Ihre Aufgabe, eine psychische Aufarbeitung der Kriegserlebnisse zu gewährleisten. Hierzu bedarf es professioneller Unterstützung – etwa durch sogenannte psychosoziale Zentren – sonst droht eine Verschlechterung der Situation. Hilfreich sind Hinweise zu Hilfsangeboten.

Empfehlung 9: Suchen Sie sich Unterstützung
Wenn Menschen zusammenleben, kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten und Konflikten. Dies gilt insbesondere, wenn sich unbekannte Personen plötzlich Räumlichkeiten teilen und möglicherweise Verständigungsschwierigkeiten hinzukommen. In diesen Fällen ist es wichtig, dass Sie möglichst frühzeitig eine vermittelnde Instanz – etwa eine Beratungsstelle – hinzuziehen.
Ein Netzwerk aus haupt- und ehrenamtlichen Unterstützer_innen ist auch bei der Klärung der zahlreichen Fragen unerlässlich, die sich im Laufe der Zeit stellen werden und die von Ihnen nicht beantwortet werden können. Benötigt die geflüchtete Person etwa Unterstützung beim Umgang mit Ämtern und Behörden oder möchte sie bestehende Rechtsansprüche geltend machen, ist die Kontaktaufnahme zu einer Migrationsberatungsstelle empfehlenswert. Hier arbeiten Personen, die speziell für die Beratung neuzugewanderter Personen qualifiziert sind. Adressen finden Sie etwa unter adressen.asyl.net.

Empfehlung 10: Schützen Sie sich und die Flüchtlinge vor einer Corona-Infektion
Obwohl der Krieg in der Ukraine die Berichterstattung über Corona in den Hintergrund gedrängt hat, leben wir immer noch in einer Pandemie. Schützen Sie sich und die aufgenommenen Personen etwa durch regelmäßige Tests. Den besten Schutz bietet eine Impfung. Ende Februar galten 35% der Ukrainer_innen als vollständig geimpft. Wir empfehlen, sie auf die kostenlosen Impfangebote in Deutschland hinzuweisen.
Sollten Sie zu dem Schluss kommen, dass Sie keinen Wohnraum anbieten können, gibt es viele weitere Möglichkeiten, Geflüchtete in Deutschland zu unterstützen, die Sie etwa auf https://www.caritas.de/ finden.

Download: Leitfaden_private Aufnahme

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