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Demokratiekonferenz 2022 – Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine

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Dass wir uns im Rahmen der Demokratiekonferenz einmal im Jahr mit der Situation unserer Demokratie beschäftigen, das hat seit 2015 Tradition in Siegen. Dass wir uns vor diesem Hintergrund jedoch auch mit einem Krieg in Europa auseinandersetzen müssen, das ist bitter und neu. Rund 55 Personen haben die diesjährige Demokratiekonferenz zum Thema „Der Krieg in der Ukraine und unser Umgang damit in der Demokratie“ am 24. November in der Bluebox besucht.

Den Einstieg machte der Siegener Sozialdezernent Andree Schmidt. Seine Feststellung: „Demokratie macht autoritären Herrschern Angst“ und ihnen seien jegliche Mittel recht, Regungen in Richtung Demokratie niederzuschlagen. Im Namen der Stadt Siegen bedankte er sich bei allen, die sich für Demokratie und Vielfalt engagieren.

Im Anschluss stellte Dr. Tetiana Havlin das wichtige ehrenamtliche Engagement der „Friedens-gruppe Siegen -Hilfe für die Ukraine“ vor. Direkt nach Kriegsbeginn hat sie zusammen mit Tetyana Pankovska und Dr. Wassilij Tscherleniak die Initiative gegründet, um schnelle Hilfe zu organisieren. Dabei leistet die Gruppe sowohl Unterstützung  für Ukrainer*innen, die nach Siegen geflüchtet, als auch Hilfe für Menschen, die in der Ukraine geblieben sind. Zahlreiche Hilfstransporte haben seit Februar Siegen in Richtung Ukraine verlassen. Für dieses wichtige Engagement hat die Friedensgruppe Siegen dieses Jahr den Preis für Interkulturelles Engagement der Stadt Siegen gewonnen. Jedoch betont Havlin: Die Hilfsbereitschaft lässt mit der Zeit nach und in der Zwischenzeit gehen weniger Sach- und Geldspenden bei der Gruppe ein, obwohl natürlich weiterhin enorm hohe Bedarfe bestehen.

Für einen analytischen Input war Dr. Iryna Solonenko vom Zentrum Liberale Moderne in Berlin eingeladen. Das Zentrum Liberale Moderne ist eine Denkfabrik aus Berlin, die sich zum Ziel gesetzt hat, parteiübergreifend über individuelle Freiheit bei gleichzeitigem gesellschaftlichem Zusammenhalt nachzudenken. Bereits seit 2019 ist dort das Themenprojekt „Ukraine verstehen“ beheimatet, das unter anderem den demokratischen Aufbau in der Ukraine verfolgt. Damit brachte Dr. Iryna Solonenko eine große Expertise mit nach Siegen. Sie konnte den Teilnehmenden der Demokratie-konferenz eindrucksvoll erklären, wie sich die Ukraine in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt demokratisiert hat und wie dieser Prozess sowie die Öffnung nach Europa den Konflikt mit Russland verschärft haben. Ihre Worte ließen keinen Zweifel daran: Russland führt den Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen unsere Werte und die friedliche Ordnung in Europa.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion ging es um die Perspektiven für Ukrainer*innen in unserer Region. Einen berührenden Einstieg in den Austausch machte Olena Ovdiienko, eine Frau, die bis vor einigen Monaten als Psychologin in der Ukraine gearbeitet hat und dann ihr Land verlassen musste. Heute arbeitet sie mit ukrainischen Müttern – ehrenamtlich, da sie so schnell nicht mit einer Berufsanerkennung rechnen kann. Sie konnte den Zuhörenden einen authentischen Einblick vermitteln, was ukrainische Geflüchtete in Siegen und anderswo bewegt. Das größte Problem sei, dass man nicht wisse, wie es weitergeht. 80 Prozent der Ukrainer*innen wollen wieder zurück. Je länger der Krieg dauert, desto kleiner und kleiner werde dieser Prozentsatz. Die Unsicherheit, wie es weitergeht, führe im Alltag auch zu ganz praktischen Fragen für Familien, die hier leben. Soll mein Kind sich auf den deutschen Schulunterricht konzentrieren oder versuchen wir lieber den Anschluss in der ukrainischen Schule nicht zu verlieren? Sie betont auch, dass viele Ukrainer*innen gut ausgebildet sind und gerne in ihrem Beruf hier arbeiten wollen.

Gleiches konnte aus einer anderen Perspektive auch Dr. Tanja Bierwirth vom Jobcenter Siegen-Wittgenstein berichten. Sie sprach auch einen Dank an die Fachdienste der Migrationsberatung für die tolle Zusammenarbeit aus. Auch Andree Schmidt und Tetiana Havlin waren mit auf dem Podium. Schmidt erklärte, wie die Stadt Siegen die Aufnahme von Geflüchteten organisiert. Keine immer einfache Aufgabe, denn Wohnraum, Kita- und Schulplätze sind begrenzt. Sein Ziel sei es, pragmatische Lösungen zu finden, auch wenn diese nicht immer direkt perfekt sind und manchmal etwas Zeit benötigen. Wichtig sei, dass die Menschen erstmal in Sicherheit sind.

Tetiana Havlin sprach nun auch aus Perspektive der Migrationssoziologie, als sie betonte, dass Flucht eine sehr komplizierte Sache sei und niemand leichtfertig sein Land verließe. Wichtig war für sie auch klarzustellen, dass selbst während des Krieges die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Migrantenorganisationen, Vereinen und Netzwerken in Siegen gut funktioniert und sie auch viel Unterstützung von der russischen Community in Siegen erfahren haben, beispielsweise in Form von Übersetzungen.

Komplementiert wurde das Podium von Hanan Tahmaz, Vorsitzende des Siegener Integrationsrates. Sie sprach auf dem Podium für alle Geflüchteten – also auch die aus anderen Ländern – als sie beschrieb wie wichtig es sei, diesen eine Perspektive in Deutschland zu eröffnen. Sie kenne viele Beispiele, wo das gut funktioniere, aber leider auch die anderen, wo Zugänge verwehrt oder Menschen ungleich behandelt würden. Olena Ovodiienko schloss die Diskussion mit einem Lichtblick für die Zukunft: „Als ich nach Deutschland kam, dachte ich, ich bin auf mich allein gestellt. Ich habe viel Hilfe erfahren und muss meine Einstellung ändern. Die Menschen haben mich herzlich aufgenommen. Die ukrainische Bevölkerung weiß jetzt, dass der Kurs Richtung Europa der richtige war.“

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